Unser Sohn ist autistisch und kann sich nicht durch Sprache äußern. Er nutzt seine Stimme, um seine Emotionen auszudrücken. Er soll das menschliche Leben führen, das allen zusteht, und braucht dafür rund um die Uhr Betreuung.
Wir leben mit der ständigen Sorge, dass
- er auf dem Gehsteig von einem Roller oder Fahrrad niedergefahren wird.
- ein Spitalsaufenthalt nur mit Dauersedierung möglich ist.
- er einmal doch auf die Straße läuft und niedergefahren wird.
- er unabsichtlich eine andere Person umrennt und verletzt.
- er die Polizei am falschen Fuß erwischt.
- jemand ihn für eine Bedrohung hält und den Helden spielen will.
- er aus dem öffentlichen Raum (Spielplatz) verdrängt wird, weil Autismus nicht verstanden wird.
- Urlaubsreisen wegen eines Meltdowns abgebrochen werden müssen.
- Piloten glauben, wegen eines Meltdowns eine Notlandung machen zu müssen.
- jemand beschließt, dass er im Alltag sediert werden muss, um den Betreuungsaufwand zu verkleinern.
- er nicht die Bildung erfährt, die ihm zusteht.
- seine Intelligenz unterschätzt wird.
- er nicht die Fähigkeiten entwickeln kann, zu denen er fähig wäre.
- er darunter leidet, dass er sich nicht äußern kann.
- er genervt ist, wenn über ihn geredet wird, als wäre er nicht da.
- er seine Sorgen und Ängste nicht äußern kann.
- er seine Freunde nicht selber aussuchen kann.
- er eine Verletzung hat, die unbehandelt bleibt.
- jemand ihn verletzt, und wir das nicht bemerken.
- er Gewalt oder Missbrauch durch betreuende Personen erleidet und wir davon nichts bemerken
- er eine Erkrankung hat, die unbehandelt bleibt und deshalb früher sterben wird.
- er Schmerzen hat, und wir das nicht erkennen.
- seine Zähne nicht untersucht und behandelt werden können.
- eine Behandlung so unbedarft durchgeführt wird, dass er glaubt sich wehren zu müssen, und er oder andere verletzt werden.
- die Krankenschwester ihn deswegen anzeigt.
- eine Blutabnahme, Blutdruckmessen, Hautuntersuchung oder Impfen für ihn nicht möglich ist.
- er während der Pandemie das Haus nie wieder verlassen kann, weil nicht klar war, ob er es lernen kann, eine Maske zu tragen.
- er keine altersgemäße, anregende Beschäftigung hat.
- er nie wieder durchschlafen wird.
- eine von uns beiden nicht mehr kann, und der der noch kann dann zwei Erwachsene gleichzeitig zu betreuen hat.
- er uns überleben wird und in nicht adäquater Betreuung zurückbleibt.
- er der einsamste Mensch auf der Welt sein wird.
Wir leben damit, dass wir nirgends hineinpassen und nirgends richtig abgeholt werden seit er erwachsen ist.
Während wir sehen, dass
- in Österreich Menschen mit Behinderung vom Kindergarten an von der Bildung ausgeschlossen werden.
- in Wien noch immer ein Kind mit Autismus vom Integrationskindergarten nicht zum Ausflug mitgenommen wird, und die Betreuung ab 14 Uhr nicht mehr übernommen wird.
- in Österreich Menschen mit Behinderung keine Wahl haben, wie lange sie in die Schule gehen wollen.
- in Österreich Jahre vergehen, bis man nach der Schule einen Platz in einer angemessenen Tagesstruktur bekommt. Bis dahin wird man mit der Betreuung alleine gelassen.
- in Österreich Tagesstrukturen entweder Werkstätten sind oder Pflegeeinrichtungen. Intensive Betreuung und Erweiterung der Fähigkeiten ist praktisch nicht vorgesehen.
- in Österreich das betreuende Personal und auch Ärzt:innen und Pfleger:innen kaum oder gar nicht autismusspezifisch ausgebildet sind.
- in Österreich Tagesstrukturen nicht auf die Bedürfnisse der Klienten ausgerichtet sind.
- in Österreich ein altersgerechter, menschenwürdiger Tagesablauf in der Betreuung nicht vorgesehen ist.
- in Österreich keine Perspektive auf ein Altern in Würde für Personen mit Behinderung existiert.
- in Österreich Pflege als Aufgabe der Mutter verstanden wird.
- in Österreich keine Unterstützung existiert, um trotz der Betreuung Vollzeit arbeiten gehen zu können.
- in Wien vom FSW Innovation bei den Tagesstrukturen unterbunden wird.
- in Wien Menschen mit Behinderung im Fahrtendienst für die Gesellschaft unsichtbar werden.
- in Wien Autisten aus dem sozialen Wohnbau delogiert werden.
- in Österreich Die Politik vorlebt, dass es in Ordnung ist, die, die anders sind, nicht als Menschen zu sehen.
- in Österreich Menschen mit Behinderung und pflegende Angehörig als Bittsteller verstanden werden, und Almosen als gesellschaftlicher Erfolg gelten.
- in Österreich die Polizei mit Härte auf Autismus reagiert, weil sie es nicht erkennen.
- sogar in Skandinavien eine Person mit Autismus von der Polizei erschossen wurde.
- unsere Situation nicht einmal in der Familie verstanden wird.
Es ist existentiell bedrohlich.
Unsere Sorgen wären spürbar kleiner, wenn die Gesellschaft Autismus besser erkennen und einordnen könnte. Und versteht, dass es Teil der Gesellschaft ist. Und wenn die Betreuenden wüssten, wie unser Sohn die für ein sicheres Leben notwendigen Fähigkeiten erlernen kann, und er auch schon viel erlernt hat.
Was andere Leute als Probleme empfinden, oder wenn über Symbolik diskutiert wird, kommt uns wie ein sinnloser Luxus vor. Wir brauchen effektive Hilfe.
Betreuung und Arbeit kennen nur kurze Pausen, die wir anderen verdanken. Wir haben keine Kraft, um den notwendigen Kampf zu führen. Es ist absehbar, dass die Belastung irgendwann zu groß wird. Es ist sicher, dass wir eines Tages zu alt sein werden. Es gibt für ihn und für uns kein Auffangnetz.
Dann kommt noch dazu dass wir sehen wieviel Geld in teils schlechte staatliche Versorgung fließt und wie vergleichsweise wenig wenn wir die Betreuung als Eltern organisieren müssen/wollen. Pflegegeld versus 5000 Euro für 27 Stunden/Woche. Die Betreuung ist teilweise so schlecht, dass man sich fragen muss ob Kalkül dahinter steckt und der Staat will, dass die Angehörigen, um ihren zu Pflegenden die schlechte staatliche Versorgung nicht anzutun, die Betreuung zu einem Bruchteil der Kosten auf sich nehmen. Wir sagen nebenbei bem,erkt nicht, dass die gesamte Behnidertenbetreuung schecht organisiert ist, aber wir haben im Bereich der Betreuung nonverbaler Personen gesehen wie schwierig es ist die Leute in einem System gut zu versorgen in dem die Arbeitsbedingungen für die Betreuuenden so sind, dass die guten Leute schnell wieder aufhören, weil sie in dem trotz teuren dennoch unterfinanzierten Sytem nichts bewirken können und unglaubliche Mitarbeiterfluktuation herrscht. Da werden Menschen die keine funktionelle Sprache haben zu oft nicht verstanden. Wir haben dem Staat allein durch unsere Bereitschaft uber zwei Jahre auf einen angemessenen Tagesstrukturplatz zu warten und die Betreuung zu Hause zu organisieren circa 120 000 Euro gespart. Das ist echt zum Aus der Haut fahren.